Rechtliches

Attest ohne Diagnose

13. Dez 2023

Der Praxis der Gesundheitsämter, ärztliche Kontraindikationsatteste fast standardmäßig vom Schreibtisch aus zu verwerfen, hat jüngst das Amtsgericht Bad Salzungen mit einem Freispruch eine Absage erteilt (Urteil vom 17.10.2023 – 3 OWI 360 Js 16743/23). 

§ 20 Abs. 9 S. 1 Nr. 2 IfSG spricht nur von einem ärztlichen Attest über eine Kontraindikation. Davon, dass in dem Attest eine plausible Diagnose enthalten sein muss, ist im Gesetzeswortlaut nicht die Rede. Die Gesundheitsämter verlangen das zwar oftmals – im Gesetz steht dazu aber nichts. Da Straf- und Bußgeldvorschriften wegen Art. 103 Abs. 2 GG so klar und verständlich abgefasst sein müssen, dass jeder Bürger anhand der Regelung selbst erkennen kann, was er tun darf und was nicht, war nach Auffassung des AG Bad Salzungen ein Freispruch notwendig. Der entschiedene Fall hat zwar einige Besonderheiten. Er zeigt allerdings auch klar die Schwächen des § 20 IfSG auf. Was der Gesetzgeber nicht ausdrücklich verlangt, kann wegen des Analogieverbots (Art. 103 Abs. 2 GG) nicht einfach durch Gerichte ergänzend „hineingelesen“ werden. 

Genau genommen verlangt der Wortlaut des § 20 IfSG nicht einmal, dass ein „gültiges“ Kontraindikationsattest vorgelegt wird. Da die betroffenen Eltern als medizinische Laien nicht wissen können, was (nach Meinung des Gesundheitsamts) gültig ist und was nicht, wäre es auch unlogisch, die „Gültigkeit“ zum Anknüpfungspunkt für ein Bußgeld zu machen. § 20 IfSG erweist sich an vielen Stellen als gesetzgeberische Fehlkonstruktion. 

Begründung des Amtsgerichts (auszugsweise):

„Das vorgelegte Attest genügt auch den Anforderungen der §§ 20 XII, IX Nr. 2 IfSG, da aus diesem eindeutig hervorgeht, dass eine medizinische Kontraindikation bei ********* besteht. Im Besonderen ist dem 20 IX Nr. 2 IfSG nicht zu entnehmen, dass das Erstattest auch schon eine Diagnosestellung und eine umfassende Begründung enthalten muss. Eine dahingehende Begründungspflicht besteht allenfalls gemäß § 20 XII 2 IfSG dann, wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des Nachweises bestehen.“

Spannend ist diese Begründung auch deshalb, weil der Bußgeldtatbestand in § 73 Abs. 1a Ziff. 7d) IfSG ausdrücklich nur auf § 20 XII Satz 1 IfSG verweist, nicht auf § 20 XII Satz 2 (!)

Für Laien einfach ausgedrückt: Um Bußgeld zu vermeiden, muss man nur das tun, was das Gesetz ausdrücklich verlangt, nicht das, was sich eine Behörde ergänzend ausgedacht hat. Die Behörde kann zwar nach § 20 XII Satz 2 IfSG eine Begründung fordern – der Bußgeldtatbestand § 73 Abs. 1a Ziff. 7d) IfSG verweist jedoch nur auf Satz 1. Ein Verstoß gegen eine Untersuchungsanordnung nach § 20 XII Satz 2 IfSG oder die Nichterfüllung einer Begründungsanforderung nach § 20 XI Satz 2 IfSG ist nach § 73 Abs. 1a) IfSG nicht bußgeldbewehrt.